Wildnis-Camp in Schweden – Was denken die Jugendlichen?

15/12/21 | ExPEERience, Forschung, Interviews | 0 commenti

Die Schweden-Reise war vielleicht eine der intensivsten Reisen, die es in diesem Jahr im Jugendzentrum gegeben hat. 12 Jugendliche hatten sich auf den Weg gemacht. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfahrung in der Wildnis, in Schweden, im Kanu. Unterm Jahr werden diejenigen, die am Ausbildungsformat Expeerience teilnehmen, gecoacht, auf den Camps übernehmen sie Tagesleitungen und Verantwortung für sich und die Gruppe. Einige sind vertraut mit naturpädagogischen Zugängen wie den Schwellengängen oder das Nachzeichnen der persönlichen Lebenslinien. Diese Übungen aus der Naturpädagogik bringen oft Themen hervor, mit denen sich die Jugendlichen auch sonst beschäftigen – vielleicht aber nicht immer an die Oberfläche dringen lassen.

So ein Camp wie in Schweden habe ich noch nie gemacht. Ich war schon auf einer Bergtour mit, auf der wir Leitungen übernommen haben und unterm Jahr bekommen wir auch Coachings, dass man über sich selbst nachdenken kann. Aber einen Schwellengang hatte ich vorher noch nicht gemacht. Was das Pädagogische angeht, war Schweden bisher das Größte.“

Ich war immer als Teilnehmer bisher bei den Camps dabei, da hat man nicht so viel Pädagogisches gemacht. In Schweden war es das erste Mal, dass ich gemerkt habe, dass ich eine Ausbildung mache. Und auch das erste Mal, dass ich sowas Pädagogisches gemacht habe. Das war etwas ungewohnt.“

Mit dem „Pädagogischen“ meinen die befragten Jugendlichen Übungen, die aus der Naturpädagogik oder der Natur-Prozess-Begleitung kommen. Schwellengänge, die man auch als Visionsspaziergänge betrachten kann, das Nachbauen der eigenen Lebenslinie mit Naturmaterialien, Coachings, die die Leitung mit ihnen vor Ort macht. Wie intensiv die Arbeit mit sich selbst sein kann, erfahren viele erst im Prozess. Zum Beispiel dann, wenn sie sich mitten im schwedischen Wald mit sich selbst auseinandersetzen sollen.

 

 

Ich habe nicht erwartet, dass die Reise so viel mit Pädagogik zu tun hat, weil ich es mir nicht vorstellen konnte, wie es dann ist, acht Tage im Wald zu sein. Ich dachte, wir würden mehr Kanufahren und dann automatisch weniger Zeit für Freizeit und Schwellengänge und so haben. Es war schon etwas Neues für mich, diese Schwellengänge zu machen und ich konnte in dem Moment auch nicht so viel mit ihnen anfangen. Wir sind oft sehr lange im Kreis gesessen und ich dachte: Das ist schade. Wenn wir schon in Schweden sind, will ich auch die Natur anschauen. Wir waren oft zwei Stunden im Kreis und das war schon etwas anstrengend.“

Beim Vortreffen von Schweden haben wir einen Überblick bekommen und danach einen Zettel mit der Vorarbeit. Als ich den Zettel gelesen hatte war ich nicht so positiv eingestellt, weil ich damit nichts anfangen kann, weil ich nicht so der Typ bin für esoterische Sachen. Ich glaube, dass eher wenige Jugendliche etwas damit anfangen können. Aber ich habe mir gedacht: Auch wenn wir ein paar solcher Sachen machen, wird sicher nicht die ganze Freizeit damit vollgestopft sein.“

Ich habe den Zettel gesehen und dachte mir: Uff. Habe gedacht, dass wir vielleicht nur wenig Kanu fahren und sonst viele Coachings und so machen. Und darauf hatte ich eigentlich nicht so viel Lust. Ich dachte, dass man in Schweden eher coolere Sachen machen könnte.“

Ich sehe die Schwellengänge so: Für mich ist es Zeit für mich alleine, in der ich über alles nachdenken kann, aber ich nehme es nicht so ernst oder glaube, dass es lebensverändernd ist. Ich finde es extrem schön in der Natur und den Bergen allein zu sein und es ist auch manchmal schwierig allein zu sein, wenn du weißt, dass niemand in der Nähe ist für drei Stunden. Es ist Zeit für sich selbst. Vielleicht sollte es auch nicht mehr sein. Wir bekommen immer gesagt, wir sollen das für uns rausnehmen, was für uns passt und was für uns wichtig ist. Und so mache ich es auch.“

 

Den Umgang mit den Übungen bewältigen die Jugendlichen dann jeder für sich auf ganz unterschiedliche Weise. Manche nehmen es locker, andere werden still. Am Rande bekommt man mit, dass auch die eine oder andere Träne fließt, denn die Gefühle, die danach auftreten sind so unterschiedlich wie die Jugendlichen selbst.

 

 

 

 

 

 

 

Viele der Übungen gehen ins Unterbewusstsein.
Wenn ich jetzt was erledigen muss, bin ich viel reflektierter als noch vor dem Sommer, glaube ich.“

Bei mir gab es schon ein, zwei Themen, die bei den Rückmeldungen der Leitung angesprochen wurden. Zum Beispiel, dass ich mich mehr durchsetzen und mehr Konflikte eingehen soll. Das war etwas Sinnvolles, was ich im Leben gebrauchen kann, um mich selbst weiterzubilden. Aber das wusste ich eigentlich auch schon vorher. Man kennt seinen Charakter ja auch.“

Oft war man bei den Übungen allein und hat über Dinge nachgedacht. Aber über die Dinge denke ich ja auch zuhause nach, wenn ich allein bin. Ich habe nichts Konkretes gefunden, was mich da berührt hätte.“

Nach den Schwellengängen sind mir oft Kleinigkeiten aufgefallen, wie zum Beispiel eine Mücke, die auf meinem Arm saß und den Ärmel so lange heruntergeflogen ist, bis sie mich stechen konnte. Da habe ich für mich mitgenommen, dass man nicht aufgeben sollte. Und das habe ich mir vorgenommen, dass ich das auch so mache.“

Bei der Übung mit der Lebenslinie mit den Naturmaterialien habe ich keinen Sinn gesehen, weil am Ende waren es nur Stöcke, die auf dem Boden aneinandergereiht waren. Und wenn man das nicht so ernst genommen hat, war es auch schwer, etwas daraus zu machen.“

Als wir aufschreiben sollten, was wir mitnehmen von der Reise, habe ich das sehr wertvoll gefunden, weil man eine Erinnerung an die Reise festhält. Die Notizen holen einen dann in ein paar Monaten wieder zurück.“

Die Erfahrung allein unterwegs zu sein bringt alle Jugendlichen in gewisser Form weiter. Manche lassen Gedanken zu, die sie im Alltag wegschieben. Andere genießen es, zur Ruhe zu kommen, da der Stunden- und Arbeitsplan zuhause überquillt vor Aufgaben. In den Feedbackrunden wird immer wieder klar, wie wichtig es ihnen ist, Zeit für sich zu haben. Aber auch, die Sicherheit zu bekommen, ihre Gedanken und Gefühle teilen zu können, sich auszutauschen, aufgefangen zu werden und zu erleben, wie es den anderen geht, mit denen sie in wenigen Tagen zu einer Gemeinschaft heranwachsen.

 

 

 

 

 

 

 

Aus jedem Camp nehme ich die wertvollen Erfahrungen mit Freunden in der Natur mit. Die Gruppe ist immer super im Papperla, da kann das Programm auch total langweilig sein. Woraus ich immer am meisten lerne, sind die Feedbacks am Ende der Camps. Die sind sehr aufbauend. Danach bin ich immer extrem glücklich, weil so ein Lob bekommt man nicht so oft. Da werden auch Sachen angesprochen, die mir persönlich zwar nicht auffallen, aber anderen. Und das finde ich extrem wertvoll. Die Coachings sind da, um etwas über sich selbst zu lernen, aber die Arbeit vor Ort im Camp als Leiter sozusagen, hat mir dann am meisten weitergeholfen. Und ich glaube, ich konnte da am meisten dazu lernen, die Sachen dann umzusetzen.“

Ich habe einen Sinn gesehen in den Übungen, die wir zu zweit gemacht haben, weil man auch jemand kennenlernen konnte.“

Ich finde die Übungen zu zweit waren gut. Die Gruppe hat dadurch zusammengefunden, weil man sich besser kennengelernt hat. Die Lebenslinie habe ich gemacht, weil sie gesagt haben, wir sollen es machen, aber ich habe keinen Mehrwert darin gesehen und den Sinn dahinter nicht verstanden.“

Die Übungen zu zweit fand ich extrem gut, weil ich mit meinem Partner ein sehr schönes Gespräch hatte und wir uns über alles austauschen und über vieles reden konnten. Die Lebenslinie fand ich okay, weil man sein Leben Revue passieren lassen und überlegen konnte, wie man sie nachbaut. Außerdem konnte man über Sachen reflektieren, die man im Alltag nicht reflektiert. Deswegen habe ich sie nicht so schlimm gefunden. Im Gegenteil.“

 

Es ist der Austausch mit den anderen, die Feedbacks, die sie bekommen und den Input der Leitung, auf die die Jugendlichen Wert legen.

 

 

„Durch das Feedback der Leitung hat man mehr über sich selbst herausgefunden, über den eigenen Charakter. Und man hat immer ein Lob bekommen. Das hat einem Selbstvertrauen gegeben, man ist positiv daraus gegangen und wurde so akzeptiert, wie man ist.“

„Ich glaube, man bekommt nicht oft ein Lob, vor allem nicht als Junge. Und von den Leuten aus dem Papperla ist es oft ein ernstgemeintes Lob und das tut gut und ist aufbauend.“

„Die Feedbacks helfen einem, darüber nachzudenken, sie sind aufbauend und man merkt, was seine Stärken sind.“

 

Doch im Wildnis-Format geht es auch um Grenzen, die ausgetestet und erfahrbar gemacht werden sollen. Nicht immer ist das leicht. Für die Leitung nicht, die die Grenzen der Jugendlichen kennen muss, um einen geschützten Rahmen zu bieten. Für die Jugendlichen nicht, die vielleicht nicht abschätzen können, wo ihre eigenen Grenzen liegen.

 

 

Ich hatte immer die Gruppe, es waren viele Freunde dabei, da habe ich keine emotionalen Grenzen gehabt. Auch körperlich nicht. Das Wandern war zwar anstrengend, aber nicht die Grenze.“

Es gab einen Moment beim Trekking, als ich die Tagesleitung hatte und plötzlich nur noch Bäume gesehen habe. Ohne Anhaltspunkte, und auch der Kompass war falsch eingestellt. Und ich stand dann im Wald und dachte: Scheiße, was machen wir jetzt? Ich habe mich dann an die Leitung gewandt, weil wir ihre Hilfe gebraucht haben. Doch sie haben gesagt, wir sollen es selbst herausfinden. Und dann hat mein Partner aus der Tagesleitung das in die Hand genommen und fünf Minuten später waren wir an der Straße.“

Ich glaube, ich war grundsätzlich noch nie an meiner Grenze. Weder körperlich noch mental. Und auch im Wildnis-Camp wird gesagt: Es ist ein geschützter Rahmen. Man soll gar nicht seine Grenzen überschreiten, nur aus der Komfortzone gehen. Deswegen war ich nie an dem Punkt, dass ich dachte: Jetzt geht es nicht mehr weiter oder ich schaffe es nicht mehr.“

Ich glaube, dass viele ihre Komfortzone verlassen haben, zum Beispiel auch damit, andere zu kritisieren.“

„Ich bin aus meiner Komfortzone heraus gegangen, als ich einem Leitungsmitglied gesagt habe, was mir auf die Nerven geht. Das habe ich aber immer so gemacht, wenn mich etwas nervt, dann spreche ich das an. Egal ob das meine besten Freunde, meine Eltern oder Lehrer sind. Es ist eine Komfortzone, aus der ich dann gehe. Aber das muss man auch mal.“

 

Aus ihrer Komfortzone gehen auch die LeiterInnen selbst. Die Planung des Camps, die Durchführung, das Zusammenbringen der Gruppe, das Übergeben von Verantwortung, das stetige Zusammenspiel zwischen Abenteuer und Geborgenheit – eine Herausforderung, die vor allem zeigt, dass es am leichtesten im Team funktioniert.

 

Die Leitung hatte eine große Verantwortung und davor habe ich Respekt. Aber manchmal war sie nicht einer Meinung und das hat man gemerkt. Viel von der Verantwortung haben sie auf die Tagesleitung übergeben. In dem Moment war es eher unfein, zum Beispiel im Zug und mit den Tickets, da hatte man schon Stress. Aber wenn man zurückschaut – es ist ja eine Ausbildung –, muss man die Erfahrung machen, damit man etwas lernt.“

Sie haben den Tagesleitungen viel übergeben, aber eingegriffen, wenn es nötig war. Man hat teilweise gegen Ende gemerkt, dass die Abstimmung zwischen ihnen nicht so gut ist und sie nicht immer mit der Entscheidung des anderen einverstanden sind. Vielleicht haben sie da zu sehr an ihrem pädagogischen Konzept nachgehangen.“

Am Ende vom Trekkingteil waren alle müde und wollten nur noch nach Hause, doch die Leitung hat es nochmal extra in die Länge gezogen, um nicht so schnell in die Zivilisation zurückzukehren. Das hat keiner verstanden, was das für einen Sinn macht. Die Bedürfnisse der Gruppe wurden da eher ignoriert, um das Pädagogische durchzuziehen.“

Ich habe einen riesen Respekt vor der Leiterin, weil sie bei jedem Camp jedes Mal so viel Herzblut gibt und sich extrem anstrengt. Das merkt man jedes Mal und auch beim allerersten Camp, bei dem ich dabei war, habe ich gemerkt, dass sie immer alles unter Kontrolle hatte in jeder Situation. Auch wenn sie müde ist oder zehn Camps nacheinander macht. Ich glaube, der Leiter dieses Camps hat nicht so einen einfachen Charakter und es war schwierig für beide Leiter zusammenzuarbeiten. Aber ich glaube, sie haben es trotzdem beide sehr gut gemacht. Bei ihm fand ich schön, dass er Geschichten und Erfahrungen erzählt hat, immer einen guten Tipp hatte und sich gut auskannte. Es hat mich nicht gestört, dass es Meinungsverschiedenheiten gab, aber man merkt es halt, dass etwas ist.“

Meiner Meinung nach war es gut, dass noch eine Leitungsassistenz da war. Wir hatten viele Ansprechpartner, die wir nutzen konnten.“

Es gab in den Momenten immer wieder Dinge, die einem auf die Nerven gefallen sind, aber wenn man sich zurückerinnert, denkt man nur an die positiven Dinge.“

 

Nach zehn Tagen nimmt die Reise ihr Ende. Hat das Camp die Erwartungen der TeilnehmerInnen erfüllt? Was nehmen sie mit von diesem Abenteuer? Und: Hat es sie nachhaltig verändert?

 

Ich habe mir vor der Reise gedacht, dass wir sowas in die Richtung der Coachings machen, aber auch, dass wir extrem viel Spaß haben und das hatten wir wirklich. Den Schwellengang zum Einstimmen hatte ich so halb gemacht. Ich habe mir nicht so viel Zeit genommen und ich konnte mich auch nicht so gut einlassen. Das ging in Schweden dann besser. Meine einzigen Erwartungen waren viel Spaß zu haben und in der Natur zu sein und das wurde eigentlich beides erfüllt.“

Ich habe erwartet, dass es ziemlich intensiv werden könnte mit der Pädagogik. Habe schon von den letzten Schwedenreisen gehört, dass sie Solo Nights gemacht haben und ich habe erwartet, dass wir das auch machen. Es war hinterher sogar noch mehr als ich vermutet hatte, aber man hatte einen guten Ausgleich.“

Am Anfang vor jedem Papperla-Camp, habe ich eigentlich keine Lust mehr darauf. Ich denke dann immer, was ich hier machen könnte und was die Freunde vorhaben. Aber wenn ich dann da bin, bin ich 100 Prozent dabei und es ist jedes Mal total lustig.“

Ich könnte nicht wirklich sagen, ob mich die Reise verändert hat, aber im Unterbewusstsein sicher, wenn man 10 Tage immer draußen ist.“

Ob Schweden einen verändert hat ist schwierig zu sagen. Vielleicht merkt man es erst nach einem Jahr. Aber jetzt sind wir mitten im Prozess, da braucht man noch etwas Zeit.“

Ich glaube, Schweden hat mich verändert. Ich merke es bei mir und auch bei den anderen. Die Themen, die in Schweden angesprochen wurden, versucht jeder gerade umzusetzen. Das ist zumindest mein Gefühl. Zum Beispiel sich Ziele zu setzen, mehr Selbstvertrauen zu haben, nicht zu kritisch mit sich selbst zu sein und sagen, wenn einem etwas nicht passt.“

 

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